Gesandt, um zu lieben – Auslegung zu Lukas 10
Lukas 10 gehört zu den Kapiteln, die uns mitten hineinnehmen in das Herz der Nachfolge. Hier sendet Jesus seine Jünger aus, erzählt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und besucht das Haus von Marta und Maria. Drei Szenen, die auf den ersten Blick verschieden scheinen, doch eine gemeinsame Linie haben: Es geht um das Reich Gottes, das sich in Liebe, Hingabe und Nähe zeigt – nicht in Macht, sondern in Dienst.
Dieses Kapitel öffnet uns das Wesen des Evangeliums: Der Glaube an Christus bleibt nie passiv. Er will gesandt werden, er will handeln, helfen, hören und lieben.
1. Die Aussendung der Siebzig – Gesandt mit Frieden
Zu Beginn sendet Jesus siebzig Jünger aus – nicht nur die Zwölf, sondern eine größere Schar. Das ist ein wichtiges Zeichen: Die Botschaft des Reiches Gottes gehört nicht einer kleinen Elite. Sie ist für alle, und sie wird durch viele getragen.
Jesus sendet sie „je zwei und zwei“, mit den Worten: „Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter.“ Sie sollen ohne Vorrat reisen, ohne Geldbeutel, ohne Schuhe, ohne Sicherheit – ein Bild des völligen Vertrauens. Ihre Aufgabe ist einfach und tief zugleich: den Frieden bringen und heilen, wo sie hinkommen.
In diesem Auftrag klingt der Herzschlag des Reiches Gottes: Es ist nicht ein Reich des Eroberns, sondern des Heilens. Der Friede, den sie bringen, ist kein äußerer Zustand, sondern die Gegenwart Gottes selbst. Wenn Jesus sagt: „Sagt: Der Friede sei diesem Haus“, dann meint er mehr als eine freundliche Begrüßung. Es ist ein Segen, der den Himmel öffnet.
So zeigt sich schon hier: Wer Christus nachfolgt, wird zum Träger seines Friedens. Nicht durch Anstrengung, sondern weil er diesen Frieden selbst empfangen hat.
2. Die Freude über das, was Gott wirkt
Als die Jünger zurückkehren, sind sie voller Begeisterung. Sie erzählen, dass sogar die Dämonen ihnen gehorchen. Doch Jesus lenkt ihren Blick behutsam weg von dem, was sie tun, hin zu dem, was Gott getan hat: „Freut euch nicht darüber, dass euch die Geister untertan sind, sondern dass eure Namen im Himmel aufgeschrieben sind.“
Hier offenbart sich der Kern des Evangeliums. Der Wert des Jüngers liegt nicht in seiner Leistung, sondern in seiner Beziehung zu Gott. Nicht das, was wir vollbringen, zählt, sondern dass wir ihm gehören.
Diese Freude ist stiller, aber tiefer. Sie entspringt der Gewissheit, dass unser Leben in Gottes Hand geborgen ist. Jesus selbst jubelt in diesem Moment und preist den Vater, dass er die großen Geheimnisse des Reiches nicht den Klugen, sondern den Einfältigen offenbart. Das zeigt, dass wahre Erkenntnis immer Gnade ist – ein Geschenk, kein Verdienst.
3. Der barmherzige Samariter – Das Herz des Gesetzes
Auf diese Szene folgt eines der bekanntesten Gleichnisse der Bibel. Ein Gesetzeslehrer fragt Jesus: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?“ Jesus antwortet mit der Gegenfrage: „Was steht im Gesetz geschrieben?“ Der Mann zitiert richtig: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst. Doch dann fragt er: „Wer ist denn mein Nächster?“
Darauf erzählt Jesus die Geschichte vom Mann, der unter die Räuber fällt, von den Vorübergehenden – Priester und Levit – und vom Samariter, der sich erbarmt.
Dieses Gleichnis ist mehr als eine moralische Erzählung. Es ist ein Spiegel: Jesus zeigt dem Gesetzeslehrer, dass wahre Liebe keine Grenzen zieht. Der Nächste ist nicht der, der zu mir gehört, sondern der, der Hilfe braucht.
Im Licht der ganzen Schrift erkennen wir hier noch etwas Tieferes: Der barmherzige Samariter ist ein Bild für Christus selbst. Er sieht die Menschheit, verwundet am Weg, und bleibt nicht auf Distanz. Er kommt herab, verbindet die Wunden, trägt den Verwundeten auf seinem Tier – ein Zeichen seiner eigenen Hingabe – und bringt ihn in die Herberge, das heißt: in die Gemeinschaft, wo Heilung geschehen kann.
Damit wird das Gleichnis zum Evangelium in erzählter Form. Es zeigt, was Gnade ist: dass Gott sich zu uns neigt, als wir hilflos dalagen.
4. Marta und Maria – Die stille Schule der Gegenwart
Am Ende des Kapitels besucht Jesus das Haus von Marta und Maria. Marta ist eifrig und bemüht, Maria sitzt zu seinen Füßen und hört ihm zu. Marta beklagt sich über die Untätigkeit ihrer Schwester, doch Jesus antwortet: „Marta, du sorgst dich um vieles; eines aber ist notwendig. Maria hat das gute Teil erwählt.“
Diese Szene rundet das Kapitel auf wunderbare Weise ab. Nach all dem Tun – dem Senden, Heilen, Predigen – steht nun das Hören. Jesus zeigt, dass Nachfolge nicht nur Dienst bedeutet, sondern Gemeinschaft mit ihm.
Maria steht für die Seele, die still wird und empfängt. Marta steht für den tätigen Glauben. Beide gehören zusammen, aber die Reihenfolge ist entscheidend: Erst hören, dann handeln. Wer nicht aus der Gegenwart Jesu lebt, erschöpft sich im Tun.
In dieser kurzen Begebenheit liegt eine tiefe geistliche Wahrheit: Der Dienst für Gott wird erst dann fruchtbar, wenn er aus der Ruhe in Gott erwächst.
5. Das verborgene Band zwischen den drei Szenen
Wenn man Lukas 10 als Ganzes liest, erkennt man ein Muster:
- Die Jünger werden gesandt, um den Frieden zu bringen.
- Der Samariter handelt, aus Liebe zum Nächsten.
- Maria hört, aus Liebe zu Christus.
Diese drei Wege – Senden, Handeln, Hören – sind die drei Bewegungen eines lebendigen Glaubens. Sie zeigen, wie der Glaube aus der Beziehung zu Gott fließt, sich in der Liebe ausdrückt und in der Gemeinschaft mit Jesus ruht.
Alles beginnt bei Gott, alles geschieht in ihm, und alles kehrt zu ihm zurück.
6. Vom Auftrag zur Erfüllung – Das Reich Gottes in Christus
In Lukas 10 erfüllt sich, was im Alten Bund vorbereitet wurde. Die Siebzig, die ausgesandt werden, erinnern an die siebzig Ältesten Israels (vgl. Num 11,16 ff.), denen Gott seinen Geist gab, damit sie das Volk leiten konnten. Jetzt sendet Jesus siebzig Jünger – ein Zeichen, dass der Geist Gottes sich ausweitet und die Grenzen Israels übersteigt.
Auch der Friede, den sie verkünden, erinnert an die Verheißung des Messias: „Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die den Frieden verkünden.“ In Christus erfüllt sich dieser Friede, denn er selbst ist unser Friede (Eph 2,14).
Das Gleichnis vom Samariter zeigt das Herz Gottes, das schon im Alten Bund durch die Propheten sichtbar wurde – besonders in Hosea, wo Gott sagt: „Ich will Liebe, nicht Opfer.“
Und in Marta und Maria sehen wir die zwei Haltungen Israels: das Tun des Gesetzes und das Hören des Glaubens. In Christus werden sie vereint.
So wird Lukas 10 zu einem kleinen Abbild des ganzen Evangeliums: Gott sendet, Gott handelt, Gott spricht – und wer ihn hört, wird zum Werkzeug seiner Liebe.
7. Schlussgedanke
Lukas 10 ist ein Kapitel des Lebens. Es zeigt uns, was Jüngerschaft wirklich bedeutet: Mit Christus gehen, in seinem Namen handeln, in seiner Gegenwart ruhen.
Die Welt hat viele Wege, Frieden zu suchen – durch Macht, Einfluss oder Kontrolle. Jesus aber sendet uns mit leeren Händen, damit wir mit vollem Herzen gehen. Der wahre Friede kommt nicht von dem, was wir besitzen, sondern von dem, der uns sendet.
Und so gilt für jeden, der ihm nachfolgt:
Werde zum Träger seines Friedens, zum Werkzeug seiner Liebe und zum Hörer seines Wortes. Denn darin liegt das Leben – damals wie heute.
Jesus mein Anker | Charity Projekt